11. Nov. 2025

40 Jahre Unternehmertum – Wilfried Wirtz über Logistik, Krisen & Digitalisierung

40 Jahre auf Achse: Was Spediteur Wilfried Wirtz über Unternehmertum, Verantwortung und den Wandel in der Logistik lehrt

Executive Summary

Unternehmerischer Erfolg in der Logistik braucht mehr als Disposition und Planung. Gerade Speditionen, die für Lebensmittel- und Pharmakunden unterwegs sind, müssen täglich Qualität, Verantwortung und Flexibilität beweisen.
Im Gespräch mit Kaspar Filipp, Co-Gründer von checkandrent.com, spricht Spediteur Wilfried Wirtz über 40 Jahre Unternehmertum, Krisen, Digitalisierung und die Zukunft des Mittelstands.
Dieser Beitrag zeigt, welche Erfahrungen Speditionen daraus mitnehmen können – von Fahrzeugflotten über Führungsprinzipien bis hin zu menschlicher Verantwortung.

Der Transport temperatursensibler Güter erfordert Planung, Verantwortung und Mut zur Entscheidung – Qualitäten, die Spediteur Wilfried Wirtz seit Jahrzehnten prägen. Vom jungen Fahrer zum Unternehmer, vom ersten LKW bis zur modernen Kühlflotte: Seine Geschichte zeigt, wie man im Mittelstand bestehen kann – mit Haltung, Vertrauen und echter Leidenschaft für das, was man tut.

Vom Fahrer zum Unternehmer – Wie man ein Familienunternehmen führt und am Leben hält

Wirtz’ Unternehmergeschichte beginnt nicht in einem Büro, sondern auf dem Fahrrad. Mit 14 Jahren, während seine Eltern im Urlaub sind, organisiert er kurzerhand einen Sellerie-Deal.

„Ich hab beim Lieferanten angerufen, Preise verhandelt, die Lieferung organisiert – alles nach der Schule. Als meine Eltern zurückkamen, hab ich ihnen die Lieferscheine gezeigt.“

Dieses Improvisationstalent zieht sich durch seine Karriere. 1984 steigt er in das elterliche Geschäft ein – damals noch ein kleiner Obst- und Gemüsehandel. Bald sitzt er selbst am Steuer, fährt nachts Märkte in Hannover und Köln an, baut Kundenkontakte auf und wächst mit jeder Tour.

„Ich bin Tag und Nacht LKW gefahren. Erst einer, dann zwei – und plötzlich war ich mittendrin im Transportgeschäft.“

Mit der Zeit wird aus dem Handel eine Spedition. Heute betreibt er Kühllager, Fahrzeuge und eine eigene Werkstatt – ein typischer Weg im Mittelstand: Schritt für Schritt, immer auf eigene Rechnung.

Führen durch Vertrauen und Verantwortung

Wirtz lebt das Prinzip des „Machens“.
Er vertraut seinem Team, erwartet aber, dass jeder mitzieht:

„Meine Eltern haben mir schon freie Hand gelassen – und das gebe ich weiter. Wer Verantwortung übernimmt, darf auch gestalten.“

Für ihn ist Unternehmertum kein Titel, sondern Haltung:

  • Vertrauen statt Kontrolle: Freiraum schafft Initiative.
  • Eigenverantwortung fördern: Wer mitdenkt, entlastet den Chef.
  • Teamgeist vor Hierarchie: Erfolg entsteht, wenn jeder Teil des Ganzen ist.

„Für mich sind alle Mitarbeiter wertvoll – vom Prokuristen bis zur Putzfee. Wenn ein Zahnrad klemmt, bleibt alles stehen.“

Diese Kultur macht den Unterschied zwischen einem Betrieb und einem Unternehmen – zwischen Personal und Menschen.

Alltag und Ausnahmezustand – Krisenmanagement im Takt der Logistik

In der Logistik läuft selten etwas nach Plan. Fahrer werden krank, Aufträge ändern sich über Nacht, Fahrzeuge fallen aus – und trotzdem muss die Ware pünktlich ankommen.

„Du weißt morgens nie, wie dein Tag abläuft – aber du weißt, dass du abends fertig bist.“

Wirtz lacht, als er das sagt, doch jeder, der selbst im Mittelstand arbeitet, spürt den Ernst dahinter.

Wenn der LKW verschwindet

Eine seiner drastischsten Erfahrungen: ein entführter LKW voller Handys.

„Der Hauptfahrer wurde in den Kofferraum gesteckt, der Beifahrer steckte mit der Mafia unter einer Decke. Wir hatten kein GPS – ich bin mitten in der Nacht los, hab das Fahrzeug über Umwege aufgespürt. Wir haben ihn zurückbekommen.“

So absurd es klingt – solche Momente prägen. Sie zeigen, dass Unternehmer im Mittelstand oft selbst in der Verantwortung stehen, wenn niemand sonst eingreifen kann.

Kultur der Lösung statt der Schuld

In seiner Spedition herrscht ein einfaches Prinzip: Fehler passieren – aber jemand muss sie beheben.

„Wenn der Kunde ein Problem hat, muss jemand dran bleiben. Egal ob Sonntag oder Feiertag.“

Das gilt besonders in der Lebensmittellogistik. Viele seiner LKWs fahren sonntags, damit montags frische Ware in den Regalen liegt.

Improvisation, Telefonate, schnelle Entscheidungen – das ist kein Ausnahmezustand, sondern Normalität.

Was Mittelständler daraus lernen können

  1. Krisenmanagement ist Chefsache – aber Teamleistung.
    Nur wer erreichbar und ansprechbar bleibt, kann handeln.
  2. Schnelligkeit ist Vertrauenswährung.
    Kunden merken, wenn du reagierst, statt zu diskutieren.
  3. Improvisation braucht Erfahrung.
    Routine ist der beste Schutz vor Panik.

Vom Problem zur Chance

Viele seiner außergewöhnlichen Aufträge begannen mit einem scheinbar unmöglichen Anruf.
Ein Beispiel: der Transport wertvoller Philharmonie-Instrumente durch halb Europa.

„Die mussten bei ganz bestimmten Temperaturen reisen. Wir haben den LKW extra umgerüstet – Paris, Amsterdam, Luxemburg, zurück nach Köln. Eine ganze Woche unterwegs.“

Und weil Wirtz solche Herausforderungen liebt, kommen Kunden wieder.

„Wenn ein Auftrag sich absurd anhört, sollte man ihn vielleicht gerade deswegen machen. Das bleibt im Kopf.“

So entstehen nicht nur Geschichten, sondern auch langfristige Geschäftsbeziehungen.

Wandel & Zukunft – Zwischen Digitalisierung und Menschlichkeit

Kein Unternehmer bleibt 40 Jahre erfolgreich, wenn er sich nicht anpasst. Doch Wirtz begegnet der Digitalisierung mit gesunder Bodenständigkeit.

„Die klassische Disposition wird zurückgehen. Es wird alles digitaler. Aber du brauchst trotzdem Menschen, die verstehen, was da draußen passiert.“

Digitalisierung – Werkzeug, nicht Weltanschauung

Seine Spedition nutzt längst Telematik und digitale Routenplanung. Aber Technik ersetzt keine Haltung.

„Ich kann nicht verstehen, wie man um 17 Uhr einfach nach Hause geht, wenn der Kunde noch ein Problem hat. Das macht kein Computer für dich.“

Der Mittelstand steht vor der Aufgabe, Prozesse zu modernisieren, ohne das Menschliche zu verlieren. Bei Wirtz heißt das: Digitalisierung dort, wo sie Effizienz bringt – aber persönliche Erreichbarkeit bleibt Pflicht.

Fachkräftemangel und Kooperation statt Konkurrenz

Die größte Sorge für die kommenden Jahre ist für ihn nicht die Technik, sondern der Mensch:

„Die Leute werden weniger. Es wird immer schwieriger, gute Fahrer und Disponenten zu finden.“

Seine Lösung: Zusammenrücken.

„In Zukunft werden sich viele Mittelständler zusammenschließen müssen, damit sie überleben.“

Kooperationen, Netzwerke und faire Partnerschaften – das sind für ihn die echten Innovationen der nächsten Jahre.

Was Unternehmer daraus mitnehmen können

  1. Technologie ist nur so gut wie die Menschen, die sie nutzen.
  2. Erreichbarkeit und Kundenbeziehung bleiben entscheidend für Vertrauen.
  3. Gemeinschaft statt Einzelkampf – so überlebt der Mittelstand.

Fazit - Unternehmertum als Haltung, nicht als Job

Was Wilfried Wirtz verkörpert, ist mehr als Spedition. Es ist die Haltung eines Machers, der Verantwortung lebt – für seine Leute, seine Kunden und seinen Betrieb.

„Ich stelle mir keinen Wecker. Aber wenn was ist, bin ich da. Und das seit 40 Jahren.“

In einer Zeit, in der viele über „Work-Life-Balance“ reden, erinnert Wirtz daran, dass Arbeit und Leben im Mittelstand oft dasselbe sind. Nicht aus Zwang, sondern aus Überzeugung.

Wer heute im deutschen Mittelstand führt – egal ob Spediteur, Handwerksmeister oder Dienstleister – kann aus seiner Geschichte drei Lektionen ziehen:

  1. Führung heißt Vertrauen und Verlässlichkeit.
  2. Krisen sind Chancen für Kreativität.
  3. Wandel braucht Menschen, keine Algorithmen.

So bleibt die Botschaft eines Mannes, der seit 40 Jahren auf Achse ist, aktuell:
Unternehmertum heißt, nicht stehen zu bleiben – weder auf der Straße noch im Kopf.

Kaspar Filipp
Gründer & Geschäftsführer von checkandrent.com